KaDeWe

Das KaDeWe in Berlin [1]

Die alte Dame ist genau ein Jahr und einen Monat älter als die berühmte Berliner Institution KaDeWe, die in diesem Jahr 95 wurde. Groß geworden ist Vera Müller im Kaufhaus des Westens nicht gerade, aber fast. Emsig kaufte ihre Mutter dort ein. Sie erzählt von den beiden Freitreppen, die es früher gab und von der Musikabteilung, in der, wenn man Notenblätter kaufte, die Stücke vorgespielt wurden. Sie erinnert sich an die unglaubliche Vielfalt an Waren und an die Lebensmittelabteilung mit „Stadtküche".

Heute macht die Feinkostabteilung das Warenhaus zur Nummer Eins auf   dem   Kontinent  - noch vor Harrod's in London. Man muss ihn gesehen haben,  diesen Gourmet-Tempel im sechsten Stock, von den Berlinern auch liebevoll Fress-Etage genannt.

Die Autorin Elke Heidenreich war es, die sich einigermaßen indigniert darüber Gedanken machte, was ein Mensch mit einer solch' großen Anzahl von Senfsorten anfangen soll. Der Chef der Abteilung, Norbert Könnecke, kann das nicht recht verstehen. Ihm, dem Kaufmann, geht es um Bandbreite und Qualität. Alles was gut ist, ist hier zu haben und was nicht geführt wird, wird besorgt.

Auf der Entdeckungsreise durch die Kontinente, und die sind am Tauentzien immerhin 7000 Quadratmeter groß, sollte Zeit mitgebracht werden. Es gibt knapp 34000 verschiedene Produkte. Angeboten werden über 400 Sorten Brot, weit über 1000 Käsespezialitäten sowie Wurst- und Schinkensorten. Allein 2400 Weine aus der ganzen Welt erwarten den Kenner. Das teuerste Produkt ist mit knapp 5000 Euro zurzeit ein Brunello di Montalcino aus der Toscana, Jahrgang 1945 und noch trinkbar. Drei Dutzend Bistro-Stationen vom „Kartoffelacker" bis zur „Sushibar" ergeben mit 1000 Plätzen das größte Restaurant der Stadt.

Ein Hingucker ist die Fischabteilung. Wöchentlich werden hier 450 lebende Hummer, 290 Lachse, 150 Kilogramm handgeschälte Grönlandgarnelen und 10 000 Austern über die gläsernen Ladentheken gereicht. Außerdem gibt es Exoten wie Bourgeois, Croissant und Papageienfisch von den Seychellen oder Seeigel, Meeresspinnen und Langusten. Selbstverständlich - man wagt es kaum zu erwähnen - gibt es auch Krabben, Felchen, Seezunge oder Kabeljau. Letzterer wird auch eingesalzen und getrocknet als Klippfisch angeboten. Alles auf gestoßenem Eis gekonnt drapiert und verziert, wenn sich Karpfen, Forellen oder Welse nicht noch in den Wasserbecken tummeln. Am   Stand  für   exotische Früchte sind Afrika und Asien plötzlich ganz nah. Kokosnüsse und Papayas liegen neben Nashi-Birnen, Kaki, Guaven, Ugli,   Zuckerrohr   oder Kochbananen.

Es ist ein Rausch der Farben in grün-gelb, blaß-rosa, orange-braun oder schwarz-lila. Die ganze Abteilung ist ein sinnliches Erlebnis - der Betrachter kann es sehen, riechen, schmecken und fühlen. Da ist es doch nur verständlich, wenn er von diesem sinnlichen Vergnügen auch ein Stück mit nach Hause nimmt. Dieses Mekka für Gourmets und Gourmands ist einzigartig auf der Welt. Der Schlemmerchef  weiß, dass so ein Erfolg nicht übertragbar ist, „denn das ist standortbezogen, die Berliner sind sehr weltoffen". Die Basis für die Feinkostabteilung der Superlative aber waren die Geschmäcker der Alliierten, die ihre vertrauten Waren auch in Berlin kaufen wollten.

Unterhalb des Dachgartenrestaurants verwöhnt Lenotre mit Baguettes und Brombeertorte - in der Confiserie-Abteilung erwarten hunderte von verschiedenen Pralinensorten die Schleckermäuler.

Faszinierend ist der Anblick und das Angebot in der Tauentzienstraße am Wittenbergplatz allemal. Und das hat Tradition. Das Warenhaus wurde 1907 von Kommerzienrat Adolf Jandorf gegründet und avancierte schnell zu einer beliebten Adresse: Der Kunde war König und Könige waren unter den Kunden. So wechselvoll die Geschichte des Landes, so auch die des Kaufhauses. Als 1943 ein amerikanisches Flugzeug in den Lichthof stürzte, war es beinahe total zerstört. Die Wiedereröffnung 1950 wurde zu einem der Symbole des Wiederaufbaus. Heute arbeiten 2400 Angestellte in den sieben Etagen. Im Erdgeschoß sitzt der einzige Kaufhausportier des Landes, Karl-Heinz Richter, der in sechs Sprachen helfen und informieren kann. Und das muss er ziemlich häufig, denn das Angebot ist riesig und in gleichen Maße auch die Verwirrung, sich darin zurecht zu finden.

Rolltreppen hat jedes Kaufhaus, dieses hier punktet zudem mit gläsernen Panoramaliften. Viel Chrom und Glas sorgen für Transparenz und leicht sollen die Gucker schließlich zum Kunden werden und immer wieder kommen. Und das tun sie - durchschnittlich besuchen das Haus täglich über 80000 Menschen aus der Hauptstadt und aller Welt. Die Welt, in Berlin zu Besuch, muss im Kaufhaus des Westens gewesen  sein.

Wenn zu Weihnachten plüschige Steiff-Landschaften kleine Geschichten erzählen oder nostalgische Puppenhäuser große Gefühle hervorrufen, setzt der Konsumtempel Maßstäbe. Und das ist auch die Maxime des Unternehmens - dem Kunden wird Besonderes, Ungewöhnliches, Exklusives geboten. Das kostet etwas mehr als anderswo, wenn es die Ware überhaupt anderswo gibt.Die Chance, in diesem Haus Prominente zu treffen, ist groß. Nicht selten gerät ahnungslose Kundschaft neben Promis, steht staunend zwischen Fotografen und TV-Kameras und bekommt ein Glas Champagner in die Hand gedrückt. Nur nicht schüchtern, das Haus gibt sich großzügig. Und so ist auch das Warenangebot, das aus rund 380 000 Produkten besteht.

Verschiedene Serviceleistungen runden das Einkaufserlebnis ab: Friseur, Kosmetiksalons, Fotostudio, Maßanfertigung und 24-Stunden-Reinigung. Im Hutatelier kann individueller Kopfputz angefertigt werden. Und weil die Kundschaft unabgelenkt ihr Geld ausgeben soll, sorgen Kindergarten und Hundeboxen für entspanntes Shopping. Keine Steigerung mehr möglich? Mitnichten: Das Kundendienstzentrum richtet auch Hochzeiten aus, Pfarrer und Hochzeitskutsche inklusive. Nur der Partner, der sollte freilich schon vorhanden sein. Aber wer weiß, vielleicht ist er ja "hausgemacht" und das Paar lernte sich auf der "Halloweenparty" oder in der "Venezianischen Nacht" kennen. Nichts ist an diesem Ort unmöglich.

„Der Kunde war König und Könige waren unter den Kunden."


[1] Andy Rausch, Rhein-Main-Presse 8. Juni 2002

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