Sirin

DER KLUB DER DICHTER [1]

Zwar gehörten Nabokov-Sirins Werke sehr bald zu den Favoriten der russischen Leihbücherei in Berlin, doch konnte er von seiner Schriftstellerei noch längst nicht leben, genausowenig wie die jungen Hobbyliteraten, die sich im Klub der Dichter zusammenschlossen. Nabokov nahm, zumindest anfangs, an ihren Versammlungen teil. Gegründet wurde der Klub von Raissa Bloch, die eine Anstellung am Institut für Mediävistik der Berliner Universität gefunden hatte, und von Michail Gorlin, der erst achtzehn Jahre alt war, als der Kreis 1928 erstmals zusammentrat. Beide wurden später als Juden Opfer des Naziterrors: Raissa Bloch wurde während des Zweiten Weltkriegs in Auschwitz ermordet, Michail Gorlin in einem schlesischen Bergwerk erschlagen.

An den Treffen des Dichterklubs nahm auch regelmäßig Nikolaj Eljašov teil, der damals am Hohenzollerndamm 276 wohnte. Vermutlich war er ein Verwandter des gleichnamigen liberalen Exilpolitikers, der beim Anschlag in der Berliner Philharmonie, dem Nabokovs Vater zum Opfer fiel, Schußverletzungen davongetragen hatte. Eljašov widmete mehrere Gedichte Berlin, darunter eines dem Fehrbelliner Platz.

Der Lyriker spielt eine Rolle in einer Anekdote aus der damaligen Zeit, die ein weiteres Mal den witzig-arroganten Zug in Nabokovs Charakter veranschaulicht: Nabokov hielt sich im Kreise der mehr oder weniger dilettierenden jungen Dichter offenbar bereits für einen Meister und machte sich gern über die Verse seiner Kollegen lustig. Als Eljašov einmal ein  eigenes  Gedicht vortrug,  in  dem der  Vers  »I loščad padajet nazad« (Und das Pferd fällt nach hinten) vorkam, unterbrach ihn Nabokov und fragte, ob das letzte Wort zusammen oder auseinander geschrieben werde (>nazad< heißt nach hinten, >na zad< aber auf den Hintern). Ohne die Antwort des verblüfften Eljašov abzuwarten, fügte er hinzu: »Im übrigen bleibt der Gedanke ja derselbe.«

Mit derartigen Auftritten eckte Nabokov durchaus an. Raissa Bloch schrieb in Anspielung an sein Pseudonym (Sirin heißt der Zaubervogel in einer russischen Sage): »Mich irritiert ein wenig die Anwesenheit eines feindselig gesonnenen Vogels in unserer Gesellschaft. [...] Aber ich habe beschlossen, objektiv zu sein. Der Vogel ist durchaus ein Poet.«


[1] Th. Urban, Vladimir Nabokov, Berlin 1999, S.78

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