Nabokovs Berlin              
 Ausflüge

 

1. Ausflug: Der russische Friedhof von Berlin-Tegel

Nach den Strapazen langer Fußmärsche über den hochsommerlichen Berliner Asphalt bietet der Ausflug zum russischen Friedhof im Naherholungsgebiet Berlin-Tegel eine willkommene Erholung: „Mit Kind und Kegel auf nach Tegel!“. Vom Bahnhof Friedrichstraße aus kann man bequem mit der U 6 nach Tegel hinausfahren. Nach 12 Stationen steigen wir an der U-Bahnstation Holzhauser Straße aus. Die Holzhauser Straße geht es zu Fuß unter der lauten A 111 entlang, bis wir rechts in die Wittestraße einbiegen, wo rechter Hand, eingekeilt zwischen Autobahn und Industrieviertel,  der russische Friedhof liegt.

Station 20: Wittestr. 37

Durch das Tor in der Einfriedung, bekrönt von einem wohlbestückten Glockengestühl, betreten wir den Friedhof um die Kirche der Hl. Konstantin und Elena. Die Kapelle mit den wunderbar blauen Zwiebeltürmen, die mit dem mittlerweile wolkenverhangenen Himmel konkurrieren, ist eine verkleinerte Kopie der mächtigen Basiliuskathedrale am Moskauer Kreml.

 

Seit 1894, als Emigranten das Ensemble anlegten, sind die Bäume zu einem stattlichen Wald aufgewachsen, der die rundum angelegten Grabstätten in ein Wechselspiel von Licht und Schatten hüllt und eine Atmosphäre von Ruhe und Frieden vermittelt.

Auf dem Friedhof liegen viele Berühmtheiten aus Wirtschaft, Politik und Kunst - wie es der Brauch will - mit dem Kopf gen Osten. Marmorgräber der sogenannten Neuen Russen von Berlin protzen zwischen den eher bescheidenen alten Gräbern mit Holz- und Steinkreuzen.

Die letzte Ruhestätte von Nabokovs Vater liegt links hinter der Kirche im ersten Feld, unweit einer Reihe von Offiziersgräbern, die mit Andreaskreuzen bezeichnet sind. Nabokovs Vater ruht in russischem Boden: um die russischen Berliner in heimatlichem Boden bestatten zu können, schickte Zar Aleksandr III. 4.000 Tonnen russischer Erde in Eisenbahnwaggons nach Berlin.

 

2. Ausflug: Das Aquarium

Wir kehren zum Ausgangspunkt unserer Wanderungen, der U-Bahnstation Kurfürstendamm zurück und bahnen uns durch die enttäuschten deutschen Fans den bereits bekannten Weg an der Gedächtniskirche, der Tauentzienstraße und der Nürnberger Straße entlang zur Budapester Straße, wo das Elefantentor auch auf das Aquarium aufmerksam macht, einem Bau von 1913, der nach seiner Zerstörung im Krieg wieder aufgebaut wurde.

 

Station 26: Zoologischer Garten. Das Aquarium

Die altertümliche Eingangshalle des Aquariums nimmt uns auf. Wir wandeln durch die Gänge, beobachten Fische, Reptilien und die zarten vergänglichen Medusen. Wo sind die im „Putevoditel‘“ von Nabokov beschriebenen Schildkröten? Bei aller Langlebigkeit haben sie nicht überlebt und auch keine Nachfolger gefunden. Schließlich entdecken wir in einer Vitrine zwei große Panzer kleinerer Verwandter von Nabokovs Galapagos-Exemplaren, leer, aber haltbar, daß sie noch lange dem Kundigen von einem Dichter, der ihnen eine kurze Skizze widmete, erzählen können.

Der Lepidopterologe Nabokov hat das dort auch angesiedelte Insektarium zwar erwähnt. Mit Recht aber nur mit einem Wort, nur eine vergrößerte Farbphotographie eines Schmetterlingsflügels schmückt eine Säule. Tarakany (Schaben), die in mehreren Arten gehalten werden, sind zwar schmucklos, aber deutlich pflegeleichter und widerstandsfähiger.

 

Das Aquarium begeisterte uns so, dass wir fast unseren Zug verpasst hätten. Im Laufschritt verabschiedeten wir uns von Berlin und seinen Nabokov-Stätten.

Heinrich Heine schrieb rund 100 Jahre vor Nabokov: „Berlin ist gar keine Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort dazu her, wo sich eine Menge Menschen […]  versammeln, denen der Ort ganz gleichgültig ist; […] Es sind wahrlich mehrere Flaschen Poesie dazu nötig, wenn man in Berlin etwas anderes sehen will als tote Häuser und Berliner“[1]. Vladimir Nabokov verfügte darüber, baut Orte aus 15 Jahren Leben in Berlin in seiner erzählten Welt neu auf, spielt aber auch mit solchen Plätzen, wenn etwa Sarepta einmal eines von Pil‘grams Schmetterlingsparadiesen ist, aber auch die Heimat von Ganins Pensionswirtin hergeben muß. Er erlaubt es seinem Leser, sich ein eigenes Bild des Ambientes zu formen, auch wenn der nie in einem Haus war, durch das der Schienenverkehr tost, noch unter Šklovskijs zwölf Brücken hergegangen ist. Einen Eindruck des russischen Berlins der Zwanziger hat man heute sogleich in der U-Bahn, wenn von den Plätzen dlja invalidov i dlja ženščin s detmi lebhafte russische Unterhaltungen ertönen.

[1]   zitiert nach Bienert, S.9.

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