Nabokovs Berlin             
 Streifzug1

 

Hotel Eden

Anwaltskanzlei

Kleiststraße

Nollendorfplatz

Goltzstraße

Luitpoltstraße

Motzstraße

KaDeWe

1. Streifzug: Vom Hotel Eden bis zum KaDeWe

Treff- und Ausgangspunkt unserer Suche nach Nabokovs Stätten in Berlin ist der Eingang zur U-Bahnstation Kurfürstendamm am Breitscheidplatz, unweit des früheren oberen Endes des Kurfürstendamms (heute Budapester Straße), mit dem auch das Romanische Café (Nr. 238) und die elterliche Wohnung von Franz Hessel (Nr. 239)[1] dahin sind. Lassen Sie uns, wie er, Spazieren in Berlin (Berlin 1929).

Wir gehen auf dem Kurfürstendamm am brandgeschwärzten Hauptturm der neoromanischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche vorbei die Tauentzienstraße entlang. Zur Linken lassen wir die Marburger Straße liegen und biegen einige Meter weiter links in die Nürnberger Straße, die uns zu der Kreuzung Budapester Straße/Kurfürstenstraße führt, die wir in Richtung Kurfürstenstraße überqueren.

Station 1: Budapester Str. 35  Hotel Eden

„Geblieben ist“, schrieb beinahe seherisch Viktor Šklovskij 1923, “das Aquarium.“[2] Es grüßt nun in seiner Jugendstilpracht über Platz und Straße den monumentalen rötlichen Sandsteinbau, den die Grundkreditbank auf die Ecke Burggrafenstraße, Kurfürstenstraße, Budapester Straße setzen ließ. Auch der Zoologische Garten hat seinen Platz behauptet. Wie zu Nabokovs Zeiten ist er ein „künstliches Paradies aus lauter Gittern“[3] im Herzen der Stadt. Das Hotel „Eden“als gleichermaßen hergestelltes Paradies, das Nabokov dem Zoo entgegensetzte, ist vergangen wie auch das benachbarte Künstlertheater[4].Geblieben ist die literarische Spur. Und noch ein Zeichen der Vergänglichkeit: Der Sandsteinkoloß beherbergt heute die Volksbank Berlin. Ihr Kaufpreis war nur ein dünnes Rinnsal für das bodenlose Faß Bankgesellschaft Berlin.

Geradeaus geht es die Budapester Straße weiter bis zur Corneliusbrücke, vor der wir rechts in das Lützowufer biegen, dem wir bis zur wiederum rechts gelegenen Landgrafenstraße folgen.

Station 2: Landgrafenstr. 1, „Weil, Gans und Dieckmann“

In der früheren Hausnummer 1 arbeitete die Anwaltskanzlei Weil, Gans und Dieckmann. Hier hat Vera Nabokov von April 1930 – März 1933 als Sekretärin gearbeitet. In „Dar“ heißt die Kanzlei „Traum, Baum und Käsebier“. Könnten Vera Slonim und ihre damaligen Chefs noch einmal zurückkehren, die Büroräume im ersten Stock des heutigen Blocks stünden nach Reinigung zum Einzug bereit.

In unmittelbarer Nähe, an der Ecke zur Kurfürstenstraße 75, befand sich damals einer der zentralen Treffpunkte der russischen Berlin-Kultur, das Café Landgraf.

Der Platz ist Treffpunkt geblieben, aber nicht mehr der Gastlichkeit, gelöster Unterhaltung, intellektueller Auseinandersetzung oder dichterischen Vortrags: eben der „dom iskusstv“[5] (Haus der Kunst). Der Nachkriegs- Kubus zieht heute als Supermarkt „Plus“ im Einheitslook die Kaufkraft des Viertels an sich: „Hier wohnen die kleinen Preise“. Die wenigen bereitstehenden Parkplätze signalisieren, für wie viele Anwohner heute - und umso mehr in den Zeiten des russischen Berlin - dieser Ort bequem zu Fuß erreichbar ist.

Wenn wir links in die Kurfürstenstraße eingebogen sind, so folgen wir gleich darauf rechts der Straße „An der Urania“. Etwa auf ihrem Straßenzug lag früher als nördliche Verlängerung der Martin-Luther-Straße die Lutherstraße, wo Nabokov in der Hausnummer 21 im 3. Stock von Januar bis August 1924 wohnte. Die Straße existiert seit dem Krieg nicht mehr. Von der lauten „An der Urania“ führt uns links die Courbièrestraße in die Kleiststraße.

Station 3: Kleiststraße

Die Kleiststraße, nur rund 500 m zwischen Wittenberg- und Nollendorfplatz, gehörte zu den zentralen Orten russischen Wohnens, Kultur- und Geschäftslebens in Berlin. Erinnert sei an das Wohnatelier Ivan Punis und seiner Frau Ksenija Boguslavskaja[6] (Nr. 43, Hinterhaus, 5. Stock, Dachboden), die Literaturbühnen des Logenhauses (Nr. 10) und des Nollendorf-Casinos (Nr.41)[7] oder die Büros von sechs Verlagen (Djakova, Glagol, Grad Kitež, Kirchner, Obelisk, Tatjana)[8]. Einen Eindruck des Ambientes jener Zeit kann heute einzig der der Courbièrestraße gegenüberliegende, ansprechend restaurierte Gründerzeitbau geben.

Die Kleiststraße führt uns bis zum Nollendorfplatz.

Station 4: Nollendorfplatz

Der U-Bahn–Knotenpunkt hat kürzlich wieder eine Kuppel erhalten. Sie ist weder leicht noch luftig, nur Silhouette. Die wilhelminische Kuppel ist hin wie das gleichnamige Zeitalter. Hin ist aber, bis auf das Metropol-Theater, auch das Umfeld am Nollendorfplatz. Die Ecke Bülowstraße füllt anstelle des Café Leon, Treffpunkt wie Station 2, Sitz des „Klub pisatelej“[9] (Klub der Schriftsteller), wieder ein Supermarkt, „Kaiser’s“ im gelben Neubau, architektonische Dutzendware.  

Wir kehren dem verkehrsreichen und lauten Nollendorfplatz den Rücken und werden, wenn wir in die Maaßenstraße einbiegen, belohnt mit stilleren Seitenstraßen, deren älterer Häuserbestand einen besseren Eindruck vom alten Berlin Nabokovs gibt. Auf dem Weg zur nächsten Station übersehen wir im quirligen Betrieb des Wochenmarkts um den schönen Winterfeldplatz glatt Nelly Sachs‘ Geburtshaus Maaßenstr. 12[10]. An der Winterfeldstraße gehen wir in die Goltzstraße über.

Station 5: Goltzstr. 9

Der ganze Straßenabschnitt ab der Barbarossastraße ist das Ergebnis eines Berliner Wiederaufbauprogramms. Wo einst, zwischen 1921 und 1923, hinter Haus Nr. 9 das Gesamtkunstwerk des Kabaretts „Sinjaja ptica“[11] seine Besucher fesselte und begeisterte, sind heute die notwendigen Einstellplätze für die Autos der Mieter bereitgestellt. Für den „Blauen Vogel“ schrieb Nabokov drei (verschollene) Sketche und ein (unvollendetes) Libretto für eine pantomimische Sinfonie des Exilkomponisten V.F. Jakobson, „Ahasver“.

Wir kehren in Richtung Barbarossastraße um, der wir, auf den Barbarossaplatz zugehend, folgen. Das nun folgende lange Stück Straße, das gesäumt ist von Mietshäusern im Vorort-Einheits-Look, legt mit seinen Gedenktafeln Zeugnis ab von der Judenverfolgung in Berlin. Auf der Barbarossastraße überqueren wir die Martin-Luther-Straße und biegen nach vier Querstraßen rechts in die Bamberger Straße ein. In der links gelegenen Nachodstraße soll wiederum eine Station von Nabokovs Berlin liegen.

Station 6: Kirche des Hl. Vladimir

Die Kirche des Hl. Vladimir in der Nachodstraße, die Nabokov in seinen ersten Jahren in Berlin, Zeit des Verlöbnisses mit Svetlana Sievert, regelmäßig besucht haben soll[12], haben wir mangels Hausnummer nicht lokalisieren können. Haus Nr. 12, wo Kurt Tucholsky seit 1912 lebte[13], haben wir im Eifer unserer vergeblichen Suche leider übersehen.

Wir wenden schon leicht ermüdet – bequemes Schuhwerk zahlt sich jetzt aus! - um und gehen an der ersten Kreuzung schräg links in die Motzstraße bis zum Viktoria-Luise-Platz, an dem wir rechts in die Münchener Straße und dann direkt links in die Luitpoldstraße biegen, wo wir auf gleich zwei Adressen Nabokovs stoßen.

Station 7: Luitpoldstr. 27

Das Haus, in dem Nabokov von August 1929 bis Anfang 1932 lebte, ist im Krieg zerstört worden. Der Ersatzbau wirkt recht heruntergekommen. Ein älteres Paar in einem mittleren Geschoß beobachtet uns mißtrauisch. Sehen wir aus wie Immobilienhaie?

Station 8: Luitpoldstr. 13

Hier wohnte Nabokov von April bis Juli 1925. Das Haus überstand den Krieg, mußte aber dem Pausenhof der Werbellinsee–Grundschule ebenso weichen wie Nr. 11, in dem Hans Fallada um 1900[14] aufwuchs.

Vom Viktoria-Luise-Platz aus, auf den wir zurückkehren, folgen wir rechts weiter der Motzstraße und überqueren abermals die Martin-Luther-Straße und werden endlich belohnt:

Station 9: Motzstr. 64 (früher Nr. 31)

Dieses stattliche Haus, in dem Nabokov 1925 lebte, ist erhalten! Die Fassade ist inzwischen pflegeleichter gestaltet. Eingang, Treppenaufgang und Fenster des Treppenhauses geben uns einen Eindruck gediegenen bürgerlichen Wohnens im Berlin um die Jahrhunderwende bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs.

Durch den Fund motiviert und wieder erfrischt kehren wir auf umgekehrtem Wege rechts in die Martin-Luther-Straße ein und biegen kurze Zeit später in die Fuggerstraße links ein. Gleich darauf geht es rechts in die Welserstraße, die in die Bayreuther Straße mündet. Nach links folgen wir der Wormser Straße, bis zur Linken die Passauer Straße liegt.

Station 10: Passauer Straße 12

Vom Herbst 1926 bis August 1929 lebte Nabokov in der Passauer Straße 12 – der Häuserblock ist leider verschwunden.

Die letzte Station auf dem Rückweg belohnt uns auf der Tauentzienstraße 21-24 mit dem KaDeWe.

Station 11: KaDeWe, Tauentzienstraße

Der geschäftliche Hintergrund von „Korol‘, Dama, Valet“, heute das Flaggschiff von Karstadt–Quelle, brummt kurz vor Geschäftsschluß. Tausende sind beim Shopping. Herrenmoden und -artikel im ersten Obergeschoß, die Welt von Dreyer und Franz, erfreuen sich auch guten Zuspruchs. Zum Lichthof hin hat die Modellbauabteilung der Technischen Hochschule eine Ausstellung von Studentenarbeiten aufgebaut, darunter ein Architektur-Schachspiel. Die Verbindung zu „Zaščita Lužina“ ist sofort da; warum nicht einmal mit Figuren vom Wolkenkratzer abwärts spielen?

 Inzwischen ist das ferne Spiel um Platz 3 der Fußball-WM entschieden. In der viertgrößten Stadt der Türkei machen sich überschwängliche Freude, Begeisterung und Stolz Luft.



[1]  Vgl. Bienert, Michael (2001): Literarisches Berlin, Berlin, S.10.
[2]  Vgl. Šklovskij, Viktor (1980): Zoo oder Briefe nicht über die Liebe, Frankfurt am Main,
S. 37.
[3]  Vgl. Nabokov, Vladimir V.(1983).: Der schwere Rauch. Gesammelte Erzählungen, Reinbek,
S. 255-256.
[4]  Vgl. Bienert, beigehefteter Tellus Stadtplan Berlin 1931.
[5]  Vgl. Beyer, Thomas R. jr.(1987): „The House of the Arts and the Writers‘ Club Berlin 1921 – 1923“. In: ders., Kratz und Werner: Russische Autoren und Verlage in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin, S.12, dort zitiert nach Golos Rossii Nr. 822 (November 24, 1921)
[6]  Vgl. Šklovskij, S.66. und Mierau, Fritz (1991): Russen in Berlin, Leipzig, S.XII.
[7]  Vgl. Scandura, Claudia (1988): „Das ‚Russische Berlin‘ 1921-1923“ in: Z.Slaw. 33  4, S. 518.
[8]  Vgl. Kratz, Gottfried (1987): „Russische Verlage in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg“. In: Beyer, Kratz und Werner: Russische Autoren und Verlage in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin, S.68-123.
[9]  Vgl. Beyer, S.31.Gründung am 4.11.1922, nachdem auch der dom iskusstv dorthin verzogen war.
[10]  Vgl. Bienert, S.20.
[11]  Vgl. Liessner-Blomberg, Elena (1991): „Der blaue Vogel“. In: Mierau. Fritz (Hg.): Russen in Berlin. Literatur Malerei Theater Film 1918–1933, Leipzig, S.338–345.
[12]  Vgl. Schachovskoj, Zinaida (1981): Auf den Spuren Nabokovs, Frankfurt am Main. u.a.,
S. 116.
[13]  Vgl. Bienert, S.21.
[14]  Vgl. Bienert, S.6.

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