Nabokovs Berlin              
 Theater

Nabokov oder „Doktor Mabuse“?

Russisches Theater in Berlin

Magdalena Herrmann

Das russische Theater spielte in den 20er Jahren eine große Rolle in Berlin.[1] Die Filmemigranten waren nicht nur einfache Aussiedler. Sie waren Persönlichkeiten, die Leidenschaft und Natürlichkeit in die Berliner Filmwelt brachten.

Das russische Theater in Berlin kann in drei große Gruppen gegliedert werden: zum einen traten in der deutschen Hauptstadt wechselnde Wandergruppen auf, zum anderen formierten sich künstlerische Kleingruppen und Kabaretts. Später kamen noch Gastspiele sowjetischer Ensembles hinzu. Die fahrenden Schausteller waren vor allem in der Zeit von August 1919 bis Mai 1922 tätig. Sie versuchten ein beständiges russisches Theater einzurichten. Die Zeit der Kabaretts, die wohl im berühmten „Blauen Vogel“ („Sinjaja ptica“) ihren Höhepunkt fand, dauerte von 1922 bis zum Frühjahr 1923.

Die dritte und die letzte Gruppe, die sowjetischen Gastensembles, traten regelmäßig bis April 1930 auf den Berliner Bühnen auf. Dem deutschen Publikum  wurden Inszenierungen des „Moskauer Künstlertheaters“, des „Moskauer Kammertheaters“, des hebräischen Studios „Habinah“, des staatlichen Jüdischen Theaters, der Agitprop-Truppe „Die blaue Bluse“ („Sinjaja bluza“) und des Staatlichen Mejerchol’d-Theaters, gezeigt.

Mitte 1922 vollzog sich ein deutlicher Umschwung im russischen Theaterbetrieb in  Berlin. Nach der Unterzeichnung des Rapallo-Vertrags im Februar 1922 teilte sich das bis dahin vereinte Unternehmen engagierter russischer Kulturschaffender in Emigranten und sowjetische Staatsbürger, und die „russischen“ Theaterproduktionen wurden von „sowjetischen“ verdrängt. Viele russische Schauspieler siedelten in benachbarte Länder über und betätigten sich fortan in Prag, Riga und Paris. Bis 1924/25 wurden jedoch in Berlin noch Gastspiele russischer Emigranten gegeben. Bei den in Berlin gezeigten russischen Darbietungen handelte es sich oft um oberflächliche Wiederholungen derjenigen Inszenierungen, die vor der Revolution stattgefunden hatten.

Es gibt viele Vermutungen darüber, warum letztendlich das Projekt eines russischen Theaters in Berlin gescheitert ist. Man nimmt an, dass die äußeren Umstände der politischen Ereignisse dazu beigetragen haben, dass aber auch innere Gründe, wie die sprachliche Barriere oder der Mangel an Künstlerpotenzial, ausschlaggebend waren.

Berliner Zeitungen veröffentlichten Kritiken über Vorstellungen von Kleinkunstbühnen sowie der Wandergruppen. Die ersten Kommentare zu russischen Ausführungen auf deutschen Bühnen wurden vom Berliner  Börsen–Courier und dem Berliner Tagesblatt über die im August 1919 von dem Schauspieler Vladimir Sumskij organisierten Vorstellungen geschrieben. Ein Mitglied der Redaktion des Berliner Börsen–Couriers, Richard Wilde, bemängelte die nach seiner Ansicht kläglichen schauspielerischen Leistungen mit harschen Worten:

      „Bei dieser russischen Gesellschaft darf man nicht an das Moskauer Künstlerische Theater mit der hohen Vollendung seiner Darbietungen denken. Man darf kaum beide in einem Atem nennen. Denn die Russen des Deutschen Theaters sind Provinz ohne Schwung, ohne Eindringlichkeit und Bühnenkunst“[2].

Erst nach zwei Jahren wurde dem gleichen, mittlerweile aber erweiterten Ensemble mehr Achtung geschenkt. Zum ersten Mal nämlich wurde ein Stück des klassischen russischen Repertoires, Gogol’s „Revizor“, gezeigt. Die Vorstellung fand dabei unter der Leitung einer deutschen Kulturschaffenden, Mary Bran, statt. Der Berliner Börsen-Courier kommentierte das Projekt wohlwollender:

      „Bedenkt man, wie viel Schwierigkeiten zufällig nach Berlin verschlagene russische Schauspieler zu überwinden haben, um die klassische russische Komödie – die trotz einiger technischer Holperigkeiten unzerstörbar und künstlerisch rostfrei bleibt, ja sogar das Verständnis für den Bolschewismus erleichtert – wirksam darzustellen, so kann man den Gastspielern eine Achtung nicht versagen.“[3]

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass in der deutschen Presse meistens kurze Notizen erschienen und Achtung größtenteils nur den einzelnen Schauspielern geschenkt wurde. Die längeren Beiträge stammten meist von Theaterkritikern russischer Herkunft. Eine Ausnahme stellte hier die Gruppe des „Moskauer Künstlertheaters“ dar, die unter der Direktion des Schauspielers Vasilij Kačalov von Ende November 1921 bis Anfang März 1922 in Berlin auftrat. Ihre Aufführungen fanden großen Anklang auch bei der deutschen Presse. Die Gruppe trennte sich jedoch im Mai 1922 und  ein Teil der Darsteller ging mit Kačalov und Olga Knipper-Čechova, einer Schauspielerin, nach Moskau zurück. Der Rest der Schauspieler des „Künstlertheaters“ ging 1923 nach Prag,  woher auch die Bezeichnung „Prager Gruppe“ stammt.

Im Gegensatz zum russischen Theater fand die szenische Kleinkunst mehr Anklang beim Berliner Publikum, denn hier dominierten Tanz, Bühnenbild, Kostüme und Gesang, so dass die Vorstellungen nicht an den sprachlichen Schwierigkeiten scheiterten. Das wohl bedeutendste Kabarett war der bereits erwähnte „Blaue Vogel“ („Sinjaja ptica“), der Ende Dezember 1921 entstand und schnell Anklang fand. Eine immerhin positive Kritik des Berliner Börsen-Couriers erschien jedoch erst nach einem Jahr:

      „Er [der „Blaue Vogel“] hat sich in diesem Jahr Berlin erobert, und nun heißt es, den einmal errungenen Platz zu behaupten und auf der geschaffenen Grundlage weiter zu bauen. Das neue Programm, das gestern zum ersten Mal in Szene ging, war in dieser Hinsicht gewissermaßen ein Prüfstein für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Es ist nunmehr auf dem Berliner Boden entstanden, ist nicht mehr importiertes, angewandtes Material aus der Heimat, und es scheint, dass das Experiment durchaus gelang und man um die Zukunft des Theaters nicht im geringsten in Sorge zu sein braucht.“[4]

Ende April 1923 gab der „Blaue Vogel“ seine letzte Vorstellung und kehrte erst Anfang 1924 zu Gastspielen nach Berlin zurück. Über das vierte Programm konnte man im Berliner Tagesblatt lesen:

      „Diese Emigranten werden weiterhin ihr Theater voll haben, auch wenn ihre bunten Bilderbogen bald nichts mehr mit dem Begriff Kabarett zu tun haben werden: es bleibt ein Rausch von Farben, Musik und ein Reiz der fremden Sprache und ein Stück aus der Kunstseele eines fremden Volkes, aus seiner Erde ein Hauch, aus seinen Liedern ein Klang.“[5]

Das Kabarett reiste bis 1929 mit Gastspielen durch Europa, und erst 1929 wurde eine endgültige Rückkehr nach Berlin erwogen. 1931 trat der „Blaue Vogel“ in Berlin zum letzten Mal auf. Das neue Programm wurde in der Berliner Morgenpost so kommentiert:

      „Am stärksten, wie immer, die Sachen, die ihren Ursprung in der russischen Volkskunst haben. Hier liegt auch die Gefahr des ganzen Genres Jushny. Diese Kunst entfernt sich mit der Zeit immer mehr von dem heimatlichen Boden, verliert dadurch immer mehr an Kraft und Saft und wird langsam zu reiner artistischer Spielerei. Es ist zwar eine entzückende, graziöse, farbenfrohe Spielerei, die uns einst in sehr trüben Jahren Licht, Laune und Frohsinn brachte, - daran erinnern wir uns noch immer dankbar – die auch nicht ohne Einfluss auf die deutsche Bühnenkunst geblieben ist, - doch dadurch wird langsam die Form immer wichtiger als der Inhalt.“[6]   

Nabokov und das Theater

Nabokov selbst war ein großer Freund des Theaters und der Oper. Er arbeitete zusammen mit dem Schriftsteller Ivan Lukaš und schrieb seine einzigen Gemeinschaftswerke für den „Blauen Vogel“, drei verschollene Sketche und ein unvollendetes Libretto. Außerdem schrieb er 1923 ein englischsprachiges Gedicht und entwarf zwei Prosaskizzen für ein Programmheft des russischen Kabaretts „Karussell“.

Als der Regisseur, Schriftsteller und Theaterkritiker von „Rul’“, Jurij Ofrosimov 1926 versuchte, ein eigenes Theater auf die Beine zu stellen, bat er Nabokov um ein Stück dafür. Das Stück hieß „Der Mann aus der UdSSR“ und handelte vom Exil und der Rückkehr nach Russland. Es war ein großer Erfolg, doch die russische Kolonie war schon so klein, dass nur noch eine Aufführung folgte.

Man sagt auch, dass Nabokov als Statist bei dem Film „Dr. Mabuse – Der große Spieler – ein Bild der Zeit“ mitgewirkt hat. Doch bis heute wurde es nicht bestätigt.

 Wichtige Kleinkunstbühnen und Kabaretts:

„Moskauer Künstlertheater“
„Die blaue Bluse“
„Das Staatliche Mejerchol’d-Theater“
„Der blaue Vogel“
„Theater des Westens“
„Kleines Theater“
„Die russische künstlerische Gastspiel-Bühne“
„Das russische Dramatische Theater“
„Prager Gruppe“
„Waldhexe“
„Karussell“
„Die Emigranten“
„Die Masken“
 

Erläuterungen zu den Zeitungen:

Berliner Börsen-Courier (1868 – 1933), Tageszeitung zu Fragen der Politik, des Handels, der Wirtschaft und Finanz, der Kultur, aber auch des Lokalen und der Unterhaltung. Die politische Unabhängigkeit und liberale Haltung nimmt unter der Leitung des Chefdirektors Emil Faktor (1916–1931) eine rechts-demokratische Ausrichtung an. Wie schon früher behält die Zeitung einen allem künstlerischen Progressiven gegenüber offenen Feuilletonteil bei.

Berliner Morgenpost (1898–1945), eine im Ullstein-Verlag gegründete Zeitung demokratischer Ausrichtung. Das Blatt erfreut sich wegen seiner kritischen Einstellung und den niedrigen Preisen großer Popularität. Die Berliner Morgenpost ist die größte Zeitung Berlins und die am meisten verbreitete in Deutschland.

Berliner Tagesblatt (1871 – 1939), eine der angesehensten deutschen Zeitungen von Weltgeltung mit bürgerlich-demokratischer Tendenz. Das Berliner Tagesblatt steht der 1918 gegründeten deutschen demokratischen Partei nah, ohne jemals eine offizielle Stimme dieser Partei zu werden. Gründungsmitglied ist Arthur Wolff, Chefredakteur von 1906–1933.


[1]  Vgl. im folgendem auch: Böhmig, Michaela (1990): Russisches Theater in Berlin 1919-1931, München
[2]   R. W. [R. Wilde], „ ,Roman´. Russisches Gastspiel im Deutschem Theater“. In: Berliner Börsen-Courier  25.8.1919, Nr. 393         
[3]  O. M-nik [Melnik, O.], „ ,Der Revisor´. Eine russische Aufführung im Theater des Westens“. In Berliner Börsen-Courier 3.9.1921, Nr. 412
[4]  Gi, „ ,Der blaue Vogel´ (Russische Kabarett-Premiere)“. In Berliner Börsen-Courier
6.10.1922. Nr. 469.
[5]  Hildebrandt, M., „ ,Der blaue Vogel´. Das vierte Programm“. In: Berliner Tagesblatt
26.2.1994, Nr. 97 
[6]  K.Gl., „ ,Der blaue Vogel´ Jushny wieder im Palmenhaus“. In: Berliner Morgenpost
4.3.1931, Nr. 54
 

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